Beobachtet, verraten und verkauft


Eine Bekannte, die bei Facebook ist und kürzlich einen Didaktik-Kurs besuchte, erzählte mir von ihrem schockierenden Erlebnis.
Der Dozent, ein Wanderer in den virtuellen Welten, besuchte mit ihnen gemeinsam unterschiedlichste Seiten, loggte sich mit dem ganzen Kurs bei YouPorn und einer Partnerplattform ein, brachte viele Beispiele und wie sie einzuordnen wären.

Dann bat er darum das Licht im Saal auszuschalten, machte den Beamer an und erklärte den Teilnehmern, dass er sich jedes ihrer Profile auf Facebook angeschaut hätte, fünf davon ausgewählt hat und diese nun dem Kurs vorstellen und analysieren möchte. Es wurde mucksmäuschenstill.
Meine Bekannte, die nicht zu den Facebook-Usern gehört, die sich als öffentlicher Star ihrer Seite produzieren, sondern eher das Paradoxon von Facebook lebt, nämlich möglichst wenig von sich preiszugeben, sah sich trotzdem starkem Herzklopfen und schweißigen Händen ausgesetzt. Was habe ich reingestellt? Habe ich bei den Einstellungen nichts übersehen? Kann der Typ auch noch hacken? Auch wenn ich noch so vorsichtig war, was kann der aus dem Wenigen herauslesen? Wie komme ich hier nur schnellstmöglich raus?
Und der scheinbaren Sicherheit eines Minimalprofils wich die Erkenntnis: Einer sieht alles!

Nachdem der gesamte Saal in eine Schockstarre verfallen ist, knipste der Dozent das Licht wieder an und erklärte die Aktion als Scherz. Der jedoch seine Wirkung nicht verfehlte.
Wer eine Freundschaftsanfrage erhält und der Neugierde nicht widerstehen kann diese zu adden, sollte sie innerhalb von Sekunden wieder löschen, falls ihm der "Freund" suspekt erscheint. Es reichen 10 Sekunden um 20 kompromittierende Partybilder runterzuladen.
Einer unserer größten Wünsche ist es "dabei zu sein". War es früher die angesagte Clique, so ist es heute die weltweit vernetzte Facebook-Community. Wie schnell steigt der Freundeskreis auf 50 Personen oder mehr und wer kann das im realen Leben von sich behaupten? Uns entgeht nichts mehr. Der anderen Seite auch nicht.
Und so wie wir uns früher den Gesetzen des Cliquenanführers beugten, um dabei zu sein, so akzeptieren wir heute, dass Facebook unsere Daten beobachtet, an andere verrät und verkauft. So wie wir früher dem Typen, von dem wir wussten, dass er postwendend alles weitertratscht, was wir im Vertrauen ausgeplaudert haben, möglichst wenig von uns erzählten, so versuchen wir uns heute möglichst bedeckt zu halten. Und alles hat seinen Preis. Weder die Aufnahme in einer begehrten Clique, noch die Teilnahme bei Facebook sind kostenlos. Das merken wir dann, wenn die Dinge wieder zu uns zurückkommen.
Wie las ich kürzlich in einer Zeitung?
Schon heute werden Informationen über das Leben und die Gewohnheiten des zukünftigen US-Präsidenten oder der zukünftigen Bundekanzlerin gesammelt. Es gibt keine Geheimnisse mehr.

Stell dir vor du sitzt im Kino und statt des Films erscheint dein Profil von Facebook/Partnerschaftsplattform/jedwede Plattform auf der Leinwand. Anhand deiner Fotos, deiner geaddeten Freunde und deiner posts wird dein Leben konstruiert. Das Licht geht an und alle Kinobesucher schauen auf dich. Fühlst du dich wirklich gesehen als der, der du bist oder sehen sie das Bild, das du von dir selber an die Leinwand projiziert hast? Schein oder Sein?

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