Wenn die Helden fehlen

In der neuesten ZEIT-Ausgabe gibt es einen Artikel von Adam Soboczynski. Wie er zugibt, ist ihm dieser Artikel aufgedrängt worden. Von einer Frau. Einer Frau, die fragt, warum sich deutsche Männer nicht um ihre Frauen prügeln. Wo in der Kölner Silvesternacht waren die deutschen Männer? Waren auf dem Platz nur deutsche Frauen, die von Männern nordafrikanischer Herkunft sexuell belästigt und ausgeraubt wurden? Nein, sie waren da. Händchenhaltend mit ihrer Liebsten standen sie auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof. Schockiert und wehrlos schauten sie dem Treiben zu. Im Artikel gibt es Bilder von lederleichtbekleideten Männern mit vielen Muskeln. Titelhelden aus Groschenromanen, die ausgedient haben. Welche moderne, emanzipierte Frau wollte noch einen Beschützer an ihrer Seite? Metrosexuell ist gefragt oder Männer mit Heinzelmännchenmützchen, die schick Jack-Wolfskin-verpackt Kinderwägen schieben und vegan kochen. Diese muskelbepackten Männer gibt es ja noch immer in unserer Gesellschaft. Als Mitglied in einem Fitnesscenter sehe ich sie im "Hantelbereich für Männer". Sie trinken Protein-Shakes und stöhnen unter der Last, die sie sich auf die Hantelstangen schrauben. Breitbeinig und mit vom Körper abgespreizten Armen schieben sie sich von Gerät zu Gerät und wischen sich theatralisch den Schweiß von der Stirn. Es wird gepumpt in deutschen Fitnesscentern. Six-Packs sind noch immer sexy. Leider aber sind all diese Muskeln nicht wirklich funktional. Sie sind dazu da um bewundert zu werden. Sie sind nicht dazu da benutzt zu werden. Die meisten dieser jungen Männer wissen nicht einmal mehr, wie man eine richtige Faust ballt. Körperlicher Kampf ist kein Bestandteil unserer Sozialisation. Er wurde ausgemerzt. Wie Herr Adam Soboczynski schreibt: Kleine aggressive Kerlchen, die zum Kampf neigen, sind ein Fall für die Psychologin und eine gute Portion Ritalin.

Ich habe einen Kerl an meiner Seite. Als Frau mit knapp über 1,60 m habe ich mich schon immer wohl gefühlt an der Seite von Bäumen. Mein Baum reicht über die 1,90 m hinaus und als ehemaliger Leistungsschwimmer ist er von stattlicher physischer Präsenz. Wäre das in einer Nacht wie in Köln ausreichend? Würde mich seine Präsenz wirklich schützen?

Letzten Sommer kam ich eines nachts spät aus dem Büro. In einer Seitengasse warf ich die Büropost in einen Briefkasten. Der letzte Sommer war heiß und als europäische Frau darf man sich in T-Shirt und Shorts bewegen. Vor dem Briefkasten steht eine Bank, darauf saßen fünf dunkelhäutige, arabisch aussehende Männer. Ungeniert zogen sie mich mit ihren Blicken aus, machten Bemerkungen in einer Sprache, die ich nicht verstehe und lachten. Sexuelle Belästigung beginnt nicht erst mit Begrapschen. Rechtsfreier Raum beginnt nicht erst dort, wo Frauen angefasst und ausgeraubt werden. Die Würde einer Frau ist immer und überall antastbar. Seit letztem Sommer ist mir klar, dass ich mich immer in einem rechtsfreien Raum bewege. Auch auf den Bänken in unserem Schlossgarten saßen diese Gruppen von Männern. Bisher war der Park eine Oase für mich. Seit dem Erlebnis im letzten Sommer, fahre ich bei Dunkelheit nicht mehr hindurch. Ich habe 8 Jahre Kampfkunst praktiziert und in den 8 Jahren ist mir klar geworden, dass ich als Frau meiner Größe den meisten Männern bereits physisch unterlegen bin. Da braucht es nur zwei Männer und ich bin ziemlich chancenlos. Wenn nun aber fünf sich einig sind, mich vom Rad zu ziehen, ist das eine Übermacht. Ein Mann an meiner Seite, kampfunerprobt, würde mir dann auch nicht helfen. Was mir in den 8 Jahren Praktizieren auch bewusst wurde ist, dass die beste Verteidigung die ist, der aggressiven Energie aus dem Weg zu gehen. Das heißt einen Instinkt zu entwickeln, wo Gefahren lauern könnten und diese Orte zu meiden. Nicht erst mit den arabischen oder nordafrikanischen Männern gibt es aggressive Energie. Die gab es schon immer. Wenn es nicht möglich ist, dieser aggressiven Energie aus dem Weg zu gehen, dann ist die zweitbeste Verteidung das schnelle Weglaufen verbunden mit Schreien.

Das Schreien ist etwas, was besonders Frauen schwer fällt. Wenn ich in unserem Dojo vormittags Trainingsvertretung hatte, waren hauptsächlich Frauen anwesend. Dann habe ich gerne Kiai geübt. Kiai ist der Kampfschrei. Er hilft dabei, nicht in den Lähmungsmodus zu fallen, sondern Energien zu mobilisieren. Er bündelt, lenkt und verlängert die Energie bei einem Schlag. Die Frauen haben es gehasst. Männerschreie haben das Dojo erzittern lassen, von den Frauen kam oft nur ein Piepsen.
Was Frauen, aber auch den heutigen Männern, wirklich schwer fällt, ist das gezielte Zuschlagen. Wir haben eine unglaubliche Hemmschwelle, jemanden überhaupt zu schlagen, geschweige denn ins Gesicht. Das wurde uns abgewöhnt. Das ist böse. Das ist nicht Teil unserer Sozialisation.

Was aber tun, wenn das Böse über uns hereinfällt?

Nach der Kölner Silvesternacht las ich einen Artikel über eine deutsche Auslandskorrespondentin. Sie sagte, dass sie in Indien nie ohne Bambusknüppel unterwegs war, da sich aus dem Nichts Männergruppen zusammenrotteten. Wenn sie den Knüppel mal vergessen hatte, schlug sie die Männer mit der Faust ins Gesicht und schrie dabei. Das schreckte ab, weil sie so ein Gebaren von einer Frau nicht gewohnt waren. Diese Frau war allzeit bereit und immer auf der Hut. Sie wusste um die Gefahr. Leider kommt die Gefahr selten so auf uns zu, dass wir schnell in unser Handtäschchen greifen können, um rechtzeitig das Reizgas rauszuholen und uns so viel Zeit bleibt, um es gezielt auf den oder die Angreifer zu sprühen. Schon solch eine Handlung erfordert Kaltblütigkeit!

Liebe Leser, ich habe, wie so viele andere, auch keine wirkliche Lösung. Ich ahne nur, dass es in Zukunft viel mehr rechtsfreie Räume geben wird. Denn wo Gewalt angewendet werden will, gibt es erst einmal kein Recht, das einen beschützen könnte. Und was nützt mir eine Rechtsprechung DANACH? Die meisten Männer würden oder könnten mich auch nicht beschützen.
Wenn ich ehrlich bin, vertraue ich weder auf unsere Gesetze noch auf unsere Männer. Die meisten unserer Männer sind wie Herr Adam Soboczynski. Bestens sozialisiert ziehen sie es vor, sich nicht zu prügeln. Auch nicht dann, wenn es darum geht, ihre Frauen zu verteidigen.

Ich denke, dass wir Frauen uns an Frauen halten sollten, die uns sagen und zeigen können, wie gefahrenvolle Situationen zu erahnen sind und wie wir uns handlungsfähig halten. Wir brauchen eine Einstellung, die uns nicht zum Opfer macht. Und wir sollten nicht darauf vertrauen, dass uns Gesetze, Institutionen, Parteien, Bürgerwehren oder das starke Geschlecht beschützen. Wir sollten uns wehrhaft machen. Wir sollten körperliche Verteidigung zum Teil unserer Sozialisation machen. 
Unsere Vorfahrinnen und wir haben einiges erreicht. Um das und uns zu schützen, sollten wir den Kiai üben.

***

Reich
ist das Land
das Helden hat.
Arm
ist das Land
das welche braucht.


Van Zan in "Die Herrschaft des Feuers"

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