Brief einer Tochter an ihre Mutter
Liebe Mutter,
7 Jahre ist es nun her. Damals hatten
wir telefoniert und ich habe Dir gesagt, dass Du Deine Sachen so
machen sollst, wie Du es für richtig hältst – und dass ich meine
Sachen so machen werde, wie ich es für richtig halte. Seitdem ist
viel Zeit vergangen, viele Erfahrungen hat jeder von uns gemacht, die
Kinder sind größer und älter geworden, jeder hat sich auf seine
Art und Weise entwickelt.
Ich bin dankbar,
dass Du mich geboren hast. Durch Dich (und Papa) bin ich auf der Welt
und darf sein. Vielen Dank für die guten Dinge, die Du mir gegeben
und mitgegeben hast. Auch wenn ich – wie ich heute weiß – lange
eine andere, vielleicht zu große Erwartungshaltung an Dich hatte,
mir etwas anderes von Dir gewünscht habe, soll es nun gut sein. Du
hast Dich so entwickelt, weil das Leben Dich so geprägt hat. Kein
Vater, der Tod Deiner Mutter, Vertreibung und Flucht, die Trennung
von Großmutter und Bruder, Aufwachsen in Pflegefamilien. Wurzellos,
aber mit starkem Willen, der es uns unter anderem ermöglichte von N.
nach E. zu ziehen. Und damit in einer Umgebung aufzuwachsen, die es
mir ermöglichte mich zu dem Menschen zu entwickeln, der ich heute
bin.
Du konntest mir oft nicht das geben,
was ich gerne gehabt hätte. Und ich konnte Dir auch nicht das geben,
was Du Dir von einer Tochter gewünscht hast. Jede von uns beiden hat
ihren ganz eigenen Blick auf die Dinge. Das werden wir nicht mehr
ausräumen, das können wir nur annehmen und stehen lassen. So wie
wir uns gegenseitig nur stehen lassen und respektieren können. Auch
wenn wir nicht alles gut heißen und nicht immer alles verstehen. Du
bist meine Mutter, ich bin Deine Tochter.
Natürlich wünschte ich mir eine
vertrauensvolle Beziehung, bedingungslose Akzeptanz, das
Aufgehobensein in einer harmonischen Familie. Das konnte unsere
Familie nicht leisten. Dazu waren die „Päckchen“, die jeder –
Du als auch Papa – tragen musste zu groß. Jeder konnte nur sich
selber versuchen zu halten. Aber ich denke, Du bist Deinen Weg ganz
gut gegangen und ich meinen auch.
Ich wünsche Dir einen schönen
Geburtstag und eine schöne Feier. Und ich wünsche mir für uns
beide und für die Menschen, die uns am Herzen liegen, dass wir
einander in Zukunft ohne Vorbehalte begegnen können.
Deine Tochter
***
Dieser Beitrag ist Bestandteil des Themas "Traumatisierte Familien / Kontaktabbruch - Verlassene Eltern und Kinder", den Sie auf meiner Homepage finden.
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